Streitschrift für Anarchosyndikalismus, Unionismus und revolutionären Syndikalismus

Schwarze Scharen

Schwarze Scharen

Helge Döhring – Verlag Edition AV, 2011 * ISBN 978-3-86841-054-9
184 Seiten, 14,90 €

 

Historiker – ein Hund, der mit den Wölfen heult. Ein rückwärtsgewandter Opportunist. –
Die meisten Historiker breiten den Dreck der Vergangenheit aus,
als wäre er der Humus für künftige Paradiese.

* Karlheinz Deschner

Nun, das kann man von dem Genossen Döhring ganz bestimmt nicht behaupten.

Die Schwarzen Scharen (ich kriege die Abkürzung „SS“ einfach nicht über meine Tastatur, greife deshalb zur Abhilfe und verwende „Scharen“) entstanden außerhalb der traditionellen AS-Hochburgen als jugendliches Eingreifen gegen den aufkommenden Faschismus und roten Totalitarismus.

Die FAUD/AS konnte ihren Niedergang auch durch ‚reformistische’ Anpassungen nicht mehr stoppen … z.B. die Verschiebung von anfangs politischen Streiks hin zu Teilstreiks um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen – und die plötzlich als notwendig erachtete Teilnahme an den Betriebsratswahlen, um wieder Einfluß auf die Arbeiterklasse zu bekommen.

Kritisch zu sehen ist auf jeden Fall, daß die „Scharen“ innerhalb der marginalisierten AS-Bewegung eine minoritäre Randerscheinung waren, denn wenn es zu Kartellbildungen mit anderen revolutionären, antikapitalistischen und antistaatlichen Organisationen kam, waren die „Scharen“ meist außen vor, weil sie selbst den übrigen Mitgliedern bzw. „der Organisation“ zu unbedeutend waren.

Gut herausgearbeitet wird mit diesem Buch auch die Beweggründe für die Formierung einer eigenständigen Abwehr-Organisation des Anarchosyndikalismus und ihres Umfeldes. Durch eine mehr oder weniger einheitliche schwarze Kleidung (wie heute linksextreme oder faschistische Autonome und Fußball-Hooligans) wollten sie sich als ‚Avantgarde’ im Kampf gegen den Faschismus öffentlich bekennen und kenntlich machen. Gleichwohl war es das Ziel der „Scharen“, als überparteiliche Kampforganisationen nicht nur FAUDler aufzunehmen.

Das Buch muß nicht die Diskussion führen, ob es ohne diese lächerlich martialische Ausrüstung (im Kontrast etwa zum Rotfrontkämpferbund der KPD) und letztlich paramilitärische Ausrichtung überhaupt möglich war, dem Gegner die Stirn zu bieten. Diese Frage müssen wir uns aktuell ja nicht stellen. Meine Antwort bleibt, daß nur durch eine breite Front aller Arbeiterorganisationen und den Generalstreik der Faschismus zu verhindern gewesen wäre. Aber genau das unterblieb – und somit waren die letztlich bereits im Vorfeld desillusionierten „Scharen“-Kämpfer auf der Verliererseite.

Widerstand und Arbeitereinheit „von unten“ oder paramilitärischer Kampfbund?

Zu einer „überparteilichen“ Organisation wurden die „Scharen“ nicht, und ob sie sich in Richtung einer richtigen paramilitärischen Formation entwickelt hätten, ist spekulativ; die Wahrscheinlichkeit ist groß, denn die Struktur war entsprechend angelegt, und derartige Vereinigungen neigen entsprechend zu einer Eigendynamik, die unkontrolliert verläuft. Denn auch die „Schwarzen Scharen“ war ja doppelt angelegt – einerseits sollten sie den Schutz eigener Veranstaltungen und Kundgebungen sicherstellen und andererseits auch anarchosyndikalistische Propaganda auf ländliches Gebiete und Kleinstädte ausdehnen (soweit man davon überhaupt sprechen kann, denn selbst in Großstädten und Vororten der Bewegung kann kaum noch von nennenswerter FAUD-Agitation in den Jahren 1932/33 gesprochen werden – wie auch mit nicht mal mehr 5.000 Mitgliedern).

Zu klären wäre auch der Unterschied zwischen einer paramilitärischen Kampforganisation wie dem RFB, der sozialdemokratisch-republikanischen Schutzformationen (Schufos) Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dem Stahlhelm – bewaffneter Arm der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) für den bewaffneten „Saalschutz“ bei Parteiversammlungen, und der SA einerseits – und proletarischen Selbstverteidigungsorganisation wie einer Arbeiterwehr (meist paritätisch durch unterschiedliche Vereinigungen gebildet) oder losen ‚proletarischen Hundertschaften’. Die „Scharen“ glaubten, daß sie durch die Bildung von mehrere festorganisierten Gruppen zu Abteilungen schlagkräftiger waren; drei Abteilungen föderierten sich zu einer Hundertschaft mit entsprechenden „Führern“ – Hundertschaftsführer … Nicht eben anarchistisch – aber im Vergleich zur Militarisierung der eigenverantwortlichen Kolonnen der CNT-FAI oder den Arbeiterbataillonen der POUM im Spanischen Bürgerkrieg auch eine sich immer wiederholende Parallele. Die spanische libertäre Bewegung aus CNT-FAI-FIJL hat keinen bewaffneten Arm gegründet (obwohl einige FAístas eine paramilitärische Organisierung forderten) – bzw. mußte ihn wohl nicht gründen, weil die Arbeitermilizen spontan aus der gewerkschaftlichen Massenbewegung sich bildeten. Die FAI beantwortete aber den rechten Terror ihrerseits mit eigenem Arbeiterterror (García Oliver), das fand in Deutschland nicht statt (bis auf Plättners Bande[1], die jedoch nur Expropriationen zur Aufstachelung des „roten Terrors“ nach der Niederschlagung des 1921-März-Aufstandes propagierte) und fand keiner Arbeiterunterstützung.

Daß die „Enge“ der rein betrieblichen Ebene überwunden werden sollte, war eine der „Neuerungen“ durch die „Scharen“, die die Propagandamethoden der KPD-Bolschewisten wie Hinterhof- und Straßen-Agitation mit modernen Kommunikationsmittel der damaligen Zeit übernahmen (Agitprop-Theater-Gruppen, Landfahrten und –märsche mit Kundgebungen, Lkw-Umzüge), die den Rahmen der bisherigen, biederen Demonstrationskultur ergänzen sollte.

Ob das „Verlassen“ oder „Ausbrechen“ aus dem rein syndikalistischen Terrain des Betriebes sinnvoll war, ist eine wichtige Frage für die Entstehung der „Schwarzen Scharen. Hätte die FAUD ihre Arbeitereinheit „von unten“ auf betrieblicher Ebene durchsetzen können, wären die jugendlichen Militanten wohl darin mit einbezogen worden. So aber waren arbeitslose Jungarbeiter~innen u.a. gezwungen, eigene Wege zu gehen. Sie entschieden sich für die Bildung durchstrukturierter Gruppen des antifaschistischen Widerstands und verstanden sich als überparteiliche „Antifaschistische Vereinigung revolutionärer Arbeiter“.

War es aber überhaupt ein Durchbrechen der damaligen AS-Theorie und Praxis? Gab es nicht neben der „reinen“ gewerkschaftlichen und damit einengenden oder selbstbeschränkten Isolierung der FAUD nicht auch andere kulturelle Bewegungen wie die Proletarischen Freidenker, eine Büchergilde und den Frauenbund? Nun, das reichte sicherlich nicht mehr aus, um den Ozean Faschismus zu stoppen (Tucholsky: „Gegen einen Ozean pfeift man nicht an“)

Ein Ausbrechen aus dem ideologischen Umfeld ist auch den „Scharen“ nicht gelungen, selbst die Kartell-Bünde mit der AAU, AAU-E, dem Lenin-Bund und anderen linksradikalen Gruppierungen schafften es nirgends, einen erfolgreichen Kampf gegen die Faschisierung der Gesellschaft zu führen, geschweige denn den Nationalsozialismus zu verhindern.

Kommunistische Überläufer zu SA und NSDAP

Der RFB verstand sich als Kampfbund von kommunistischen Soldaten mit Fronterfahrung: Auf dem 3. Reichstreffen (1927) legten die anwesenden RFB-Mitglieder das Gelöbnis ab, »niemals zu vergessen, daß das Schicksal der Arbeiterklasse der ganzen Welt unlöslich verbunden ist mit der Sowjetunion, […] stets und immer ein Soldat der Revolution zu bleiben, […] an der Front und in der Armee des Imperialismus für die Revolution zu wirken, den revolutionären Kampf für den Sturz der Klassenherrschaft der deutschen Bourgeoisie zu führen.« [2]

Da die Parole der NSDAP-Anhänger („Heil Hitler!“) durch die KPD mit „Heil Moskau!“ gekontert wurde und Ernst Thälmann als ihren „Führer“ gegen Adolf Hitler stellte, galt der Kampf der „Scharen“ eben nicht allein dem braunen sondern vielmehr auch dem roten Faschismus. Für die jungen Kämpfer galt der Rotfrontkämpfer-Bund der KPD als Gegner, weil sie auch deren totalitäres Heilssystem „Moskau“ strikt abgelehnten. Aufschlußreich ist deshalb der Zeitungsartikel, der über den geschlossenen Übertritt zweier RFB-Stürme zur örtlichen SA in Darmstadt berichtet und den Kommentar eines parteikommunistischen Funktionärs dazu wiedergibt: „Lieber zu den Nazis als zu den Syndikalisten!“

Die Rote Marine des RFB war berühmt und berüchtigt. Ein Auszug aus dem faschistischen Buch Hamburg bleibt rot belegt dies: Die Achtung der proletarischen SA vor den kampferprobten roten Arbeiterbrüdern war ernstgemeint, der Gegner wurde respektiert – und dennoch halbtot oder tot geprügelt. Und in diesem Buch lesen wir auch von Überläufern zur Nazi-Partei bzw. ihren Schlägertrupps.[3]

Die Frage der Überläufer von der KPD zur NSDAP bzw. dem RFB zur SA und SS ist eine historische Facette, die m.E. viel zu wenig in der Geschichtsschreibung über den Erfolg des Faschismus beachtet wird. Einerseits wohl aus gutem Grund, denn diese Tatsachen werden als „revisionistische Geschichtsschreibung“ gebrandmarkt, weil diese „totalitarismustheoretischen Annahmen“ einzig und allein ja nur aus „ideologischen Interessen“ behauptet werden.[4] Andererseits ist die Faktenlage sehr spärlich. Da muß noch geforscht werden!

Fazit

Generell kann man Döhrings Buch nur eine weite Verbreitung über unsere engen Reihen hinaus – vor allem der verbliebenen Reste der Antifa-Szene – wünschen. Die verbliebenen Anbeter des US- und israelischen Staatsapparates, werden ihren bürgerlichen Antifaschismus – der vom Kapitalismus als Ursache des Faschismus nicht reden will, zu bösen Attacken mit Schaum vor dem Munde reizen. Aber auch das wäre dem Buch zu wünschen, um seine Verbreitung zu fördern.

Der Genosse Döhring heult also nicht mit den Wölfen, ist kein geprügelter opportunistischer Hund. Vielmehr wühlt er im Dreck der Geschichte, ohne die „Schwarzen Scharen“ als Humus für ein zukünftiges Paradies zu glorifizieren. Lobenswert ist seine Einführung in das Thema durch eine sehr prägnant-präzise Beschreibung der anarchosyndikalistischen Theorie und Realität zu Beginn der 1930er Jahre. Ganz exzellent gelingt ihm die Kritik an der heutigen Reste-Antifa-Bewegung, der er vorhält, nicht einmal mehr den Minimalkonsens zu begreifen, daß der Faschismus ursächlich das Aufbäumen des Kleinbürgertums ist und zwingend deshalb der Kampf gegen den Faschismus mit einem Kampf gegen den Kapitalismus einhergehen muß. Da Antikapitalismus ja bereits per se an vielen Orten zur antisemitischen Propaganda erklärt wird, hilft dieses Buch vielleicht, wieder etwas mehr Hirn und Erkenntnis zu verbreiten, ohne belehrend zu sein.

Eine gelungene Untersuchung, die keineswegs behauptet, die „Scharen“ wären eine Massenbewegung gewesen. Vielmehr dokumentiert und kommentiert sie einen bisher unterbelichteten Teil unserer Bewegung hier in Deutschland. Und lernen können wir alle aus dieser Forschung – was Genoss~innen daraus in der heutigen Praxis anwenden, wird sich zeigen.

 • fm

Relativ Nebensächliches

Zu bemängeln ist die schlechte Qualität der meisten abgedruckten Zeitungsberichte, die teilweise nicht zu lesen sind. Das bitte bei der zweiten Auflage (die es zweifelsohne geben wird!) nachbessern. Einige Menschen und Genoss~innen können ja erst mit dem Abdruck der Quelle ihre Zweifel an unglaubliche Tatsachen überwinden.

Ärgerliches

In der Graswurzelrevolution hat ein Herr Dieter Nelles die Arbeiten von Döhring als „copy & paste“-Recherche bezeichnet. Diese bösartige Unterstellung zeigt an, daß hier ein geprügelter Hund aufjault. Es geht hier nicht um Wahrhaftigkeit, sondern darum, einen Gegner zu denunzieren. Daß die Bücher Döhrings manchem Möchtegern-Alleinherrscher über die Geschichte des AS stören (Hartmut Rübner kotzte sich bereits im Sklaven vor Jahren über die angebliche „Unwissenschaftlichkeit“ Döhrings aus), sollte uns allen zu denken geben. Sie alle meinen, daß sie bereits alles aufgearbeitet haben, was uns interessieren könnte. Wer so handelt wie diese Figuren, die rein gar nichts mit unserer klassenkämpferischen Bewegung zu schaffen haben, den muß man wohl daran erinnern: Wer mit Dreck wirft, hat auch Scheiße an der Händen.


[1]    Volker Ullrich – Der ruhelose Rebell. Karl Plättner 1893-1945. Eine Biographie. München 2000

[2] Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung (1969), Berlin (DDR): Dietz 1969, 2 Bde, Seite 418

[3]  Okrass, Hermann, Das Ende einer Parole „Hamburg bleibt rot“, (Die Geschichte der NSDAP in Hamburg), Hamburg, Hanseatische Verlagsanstalt, 1934

[4] Kamen viele Nationalsozialisten aus kommunistischen Organisationen? http://antifa-frankfurt.org/Nachrichten/april2004/kommunisten.pdf

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