Streitschrift für Anarchosyndikalismus, Unionismus und revolutionären Syndikalismus

Schlagwort-Archiv: Anarchismus

Über Hildburghausen ins dritte Reich – Gerhard Wartenberg

Wir veröffentlichen diese Broschüre, die unter seinem Pseudonym H. W. Gerhard erschien, als digitalen Reprint in Erinnerung an unseren Genossen Gerhard Wartenberg, der 1942 von den Nazis im KZ Sachsenhausen ermordet wurde. Und weil diese Schrift ihre Aktualität auch heutzutage leider nicht eingebüßt hat.

Reprint der Ausgabe von 1932. Erschienen im Verlag „Der Syndiklaist“ Berlin.

Aus gegebenem Anlaß

I.
Die thüringische Kreisstadt Hildburghausen ist in den letzten Wochen als ein Corona-‚Hotspot‘ in die Berichterstattung gelangt. Und als ein Zentrum von Demonstrationen der Corona-Leugner. Nicht ganz so prominent berichtet wurde über den seit Jahren bestehenden ‚Hotspot‘, den die Stadt für die rechtsextreme Szene darstellt.

II.
Die Stadt geriet schon einmal in die Schlagzeilen, im Jahr 1932, als ruchbar wurde, daß der staatenlose ‚Führer‘ der NSDAP Adolf Hitler – der 1925 seine österreichische Staatsangehörigkeit freiwillig aufgegeben hatte – 1930 durch Ernennung zum Gendarmeriekommissar (Leiter der Polizeidienststelle) von Hildburghausen verbeamtet wurde und damit automatisch die thüringische Staatsbürgerschaft erhalten hatte – was ihm wiederum erst ermöglichte, für ein Staatsamt im Deutschen Reich zu kandidieren (eine Reichsbürgerschaft wurde erst 1934 von den Nazis eingeführt). Eingefädelt hatte dies der thüringische Innenminister und Minister für Volksbildung, Wilhelm Frick (NSDAP), der der ersten unter Beteiligung der Nazis gebildeten Landesregierung in Deutschland angehörte (Baum-Frick-Regierung).

III.
Seit 1925 hatte es verschiedene erfolglose Versuche gegeben, Hitler ‚einzudeutschen‘. Alle wurden peinlichst geheim gehalten. Warum allerdings die Reichsregierung oder andere deutsche Behörden es verabsäumten, den österreichischen, seit 1925 staatenlosen Putschisten (heute würde er wohl zumindest als „Gefährder“, korrekter allerdings als „Terrorist“ bezeichnet werden) des Landes zu verweisen – was nach damaligem Recht durchaus möglich gewesen wäre – ist eine interessante Frage. Eine naheliegende Antwort ist: die offene und verdeckte Komplizenschaft staatlicher Institutionen mit dem ‚völkischen‘ Terroristen.

IV.
In Hildburghausen schien es endlich geklappt zu haben mit der ‚Eindeutschung‘. Angeblich soll Hitler aber die Ernennungsurkunde nach einigen Tagen Bedenkzeit zerrissen haben – „Kreisstadtgendarm“ schien ihm für seine Person nicht bedeutend genug gewesen zu sein – und danach habe auch Frick die von Hitler unterschriebene Empfangsbestätigung vernichtet. Der ‚Führer‘ war damit – zumindest in seinem Selbstverständnis – wieder staatenlos.
Die Geschichte flog im Januar 1932 auf und zog neben einer Spottkampagne in der Presse auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Thüringer Landtags nach sich. Konsequenzen hatte das allerdings nicht.

V.
Die ungeklärte Staatsbürgerschaftsfrage mußte 1932 allerdings endgültig geklärt werden, da Hitler bei der Reichspräsidentenwahl vom 13. März 1932 kandidieren wollte. Abhilfe schuf die Landesregierung des Freistaates Braunschweig, die seit September 1930 von einer Koalition aus bürgerlichen Parteien und den Nazis gestellt wurde. Am 25. Februar 1932 ernannte sie Hitler zum »Regierungsrat beim Landeskultur- und Vermessungsamt« mit Dienstpflicht als Sachbearbeiter bei der Braunschweigischen Gesandtschaft am Lützowplatz in Berlin – einen Posten, den der frisch Gekürte nie antrat. Er hatte schließlich wichtigeres zu tun.

VI.
Dies ist der engere geschichtliche Hintergrund der Schrift »Über Hildburghausen ins dritte Reich!« von Gerhard Wartenberg, die unter seinem Pseudonym H.W. Gerhard im Verlag »Der Syndikalist« der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Anarcho-Syndikalisten) 1932 veröffentlicht wurde, und die wir hier als digitalen Faksimile-Reprint veröffentlichen – in Erinnerung an unseren 1942 von den Nazis ermordeten Genossen Gerhard Wartenberg. Und weil diese Schrift ihre Aktualität auch heutzutage leider nicht eingebüßt hat.

VII.
1981 erschien eine Neuauflage im AHDE-Verlag Berlin/W, die mittlerweile auch nur noch antiquarisch erhältlich ist. Die Herausgeber schrieben seinerzeit dazu:

»Diese anti-nazistische, konsequent demokratische, freiheitlich sozialistische Schrift, kurz vor der Errichtung der NS-Diktatur erschienen (Herbst 1932), konnte nur noch relativ wenige Leser erreichen. Die Schließung des Verlages durch die „Ordnungskräfte“ der im Januar 1933 etablierten NS-Diktatur machte eine weitere Verbreitung unmöglich.

Der Titel der Schrift: „Über Hildburghausen ins dritte Reich!“ spiegelt die „Komödie“ wider, wie sich Adolf Hitler, der Bürger der Republik Österreich, zum Bürger der von ihm gehaßten Weimarer Republik mauserte. Nur so konnte er formaljuristisch ein Staatsamt im Deutschen Reich übernehmen. (…)

Der Verfasser H.W. Gerhard (d.i. Dr. Gerhard Wartenberg, 1904-1942), seit 1922 in der anarchistisch-syndikalistischen Jugend tätig, Mitglied der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft „Freie Arbeiter Union Deutschlands”, 1926 Herausgeber der Zeitung „Der Bakunist“, 1929 halbjähriger Aufenthalt für eine französische Chemiefirma in der UdSSR, Mitarbeiter an verschiedenen anarchistischen und anarcho-syndikalistischen Zeitschriften (u.a. „Der Syndikalist”, Mühsams „Fanal‘) meist unter dem Pseudonym Berg oder Gerhard, wurde 1938 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Anschließend kam er ins KZ-Sachsenhausen. Dort ist er angeblich an Tuberkulose gestorben. Wartenberg war einer der konsequentesten und frühesten Warner vor allen Spielarten des Faschismus und ein entschiedener Gegner jeglicher Form von Staatsherrschaft.

Seine Schrift dokumentiert durch zahlreiche Zitate von NS-Größen die nazistische Gewaltherrschaft in ihren Hauptausdrucksformen, wie sie dann im „Tausendjährigen Reich“ praktiziert wurden.

Wartenbergs Ausführungen über die kommende nazistische Apokalypse ist aber auch zugleich eine Abrechnung mit dem Versagen der sogenannten anti-faschistischen Kräfte/Arbeiterparteien, ihren Fehleinschätzungen, ihrer meist kampflosen Tolerierung der kalten und heißen Machtergreifung.«

Archiv Karl Roche
Hamburg-Altona, 29. Dezember 2020

Literatur:

Felix Durach, Hildburghausen mit Inzidenz über 500: Von der Neonazi-Hochburg zum Corona-Hotspot; in: Merkur (München), 01.12.2020
https://www.merkur.de/politik/corona-hotspot-hildburghausen-neonazis-landrat-demonstration-morddrohung-npd-zr-90116435.html

Manfred Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930; in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 40/1992, Heft 4, S. 543 – 566
http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1992_4.pdf

Hans-Jürgen Salier, Einbürgerung Hitlers. Von der wundersamen Einbürgerung eines Österreichers in Hildburghausen [zuerst in: Hans-Jürgen Salier und Bastian Salier, Hildburghäuser Lesebuch, Hildburghausen, 1999, S. 153 ff. (Verlag Frankenschwelle KG)]
http://www.schildburghausen.de/sagen/einbuergerung-hitlers/

Robert W. Kempner (Hrg.), Der verpaßte Nazi-Stopp. Die NSDAP als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung. Preußische Denkschrift von 1930, Berlin/W 1983 (Ullstein-TB)

Wikipedia: Einbürgerung Adolf Hitlers
https://de.wikipedia.org/wiki/Einb%C3%BCrgerung_Adolf_Hitlers

Die ‚deutsche‘ Emma Goldmann

Die ‚deutsche’ Emma Goldmann

emma_goldmanEmman Goldmann (1869-1940) hier um 1892

Die angekündigte Erstveröffentlichung von deutschen Texten von Emma Goldmann kostet Zeit und viel Energie, da wir doch einiges an weiterem Material aus der damaligen Yellow-Press (den ersten Boulevard-Zeitungen wie der u.a. der New York World von Joseph Pulitzer) übersetzen und ergänzen wollen. Der Text hier als pdf-Datei eg_barrikade-2017

* * *

Emma Goldmann erster Text in einer deutschen Zeitung:
Der Anarchist 1880 - St. Louis

Eingesandt.

Lange Jahre hat es ein Mann fertig gebracht, sich als Held und Märtyrer hinzustellen, die größten Schurkereien zu verüben und zu verlaumden und so die besten Kräfte zu untergraben.
Und dies allen unter dem Deckmantel des Anarchismus, ohne daß auch nur eine Hand sich erhoben hatte, die Maske von dem Gesicht dieses Mannes herab zu reißen.
Der Mann von dem ich hier spreche ist John Most der „Anarchistenführer“, der Mann, der es wagt, sich an die Seite eines Krapotkin. einer Perowskaya und anderer Helden unterer Bewegung zu stellen.
Genossen und Freunde, wenn ich jetzt die Feder ergreife, um Euch diesen Most in das richtige Licht zu stellen, so ist es wahrlich  nicht persönlicher Haß, (ich bin gerade im Interesse der Bewegung noch nicht gegen Most aufgetreten), sondern die Empörung über die Haltung dieses Schuften, unserem Genossen Berkmqann gegenüber. Ja, die Empörung die einen jeden ehrlichen Arbeiter ergreifen muß. über dieses verläumderische Treiben, über dieses Denunziantenthum dieser Demagogen.
Die Genossen werden das Interview, das M. mit einem Reporter hatte, an anderer Stelle übersetzt finden.
Was, frage ich, kann einen Menschen veranlassen, so gemein, so niederträchtig zu handeln?
Einfach der schmutzige persönliche Haß, der Neid und die Furcht ist es, was diesen Menschen treibt so zu sprechen. Most ist feig, feig bis zum Äußersten, daß ist jeden bekannt, der ihn nur ein bischen genau kennt.
Ich, die ich ihn leider gut kennen gelernt habe, die jeden Charakterzug zur Genüge studirte, ich behaupte, daß Most ein ganz erbärmlicher Feigling, ein Lügner, Schauspieler und zugleich ein Waschlappen ist.
Alle seine sogenannten heroistischen Thaten sind nicht der Liebe zur Sache, der Ergebenheit zum Prinzip entsprungen. Oh nein! Es war Berechnung, es war ganz schmutziger Ehrgeiz, der ihn zwang „sein“ Prinzip (?) zu vertreten. Was hat denn Most bisher Großen geleistet? Ein paar Jahre hat er im Gefängniß, wo es ihm nebenbei bemerkt, sehr gut erging, zugebracht, das ist alles. Die Arbeiter haben ihren letzen Cent hingegeben, um es diesen Parasiten an nichts fehlen zu lassen.
Wo es aber galt, irgend eine That zu vollbringen oder andere zu unterstützen, da hat er sich stets feige und erbärmheh gezeigt.
Ich führe nur aus letzter Zeit einige Beispiele an, die Versammlung auf Union Square am 1.. Mai, wo er aus Furcht nicht hinkam, troztdem er Wochen zuvor aufforderte die Genossen möchten sich an der Maidemonstration betheiligen. — Weiter die Versammlung in Philadelphia, die er deshalb sich nicht zu adressiren getraute, weil kurz zuvor Genosse Hoffmann verhaftet wurde.
Und die größte und gemeinste Feigheit die jetzigen Handlung Most‘s. Aus Angst und persönlichem Haß erzählt er allerlei Lügen über Genossen Berkmann. Anstatt diese That propagandisch auszunützen, versucht er sie in den Koth hinab zu ziehen. Nichts ist ihm zu schlecht, um es gegen B. anzuwenden. Er erzählte unter anderem dem Reporter, daß B. ein sehr ungeschickter Arbeiter sei, troztdem er mir und anderen gegenüber hundertemal betheuerte, daß B. ein sehr geschickter und fleißiger Arbeiter sei.
Aber weil B. frei und offen M. die Meinung in‘s Gesicht sagte, weil er gesagt hat, daß er alles andere eher sei, als ein Anarchist, weil B. die Corruption und den Schmutz in der „Freiheit“ aufgedeckt, wurde er Mitte Juli entlassen, mit dem Versprechen bald wieder eingestellt zu werden.
Genossen! wenn in Euch noch ein Funken Selbstachtung vorhanden ist, wenn Ihr nicht theilnehmen wollt an den Schurkereien dieses Charlatan, dann bedenkt diese Worte.
Ihr seid es, die ihn ernähret, die ihn Mittel schafft, um ein feines Leben zu fuhren. Durch Euren Schweiß und Euer Blut, hat er sich einen Namen erworben. Hat er doch so oft gesagt, er sei lieber Carl Schurz als John Most.
Genug der Worte, denn man müßte ein Buch schreiben, um all die elenden Handlungen zu behandeln.
„Die Polizei will ihn verhaften.“ Eine größere Dummheit, eine größere Schande könnte der That B.‘s nicht gemacht werden. B. würde Most niemals etwas anvertrauen, einfach weil er diesen Schwätzer kennt Most hat schon manche That eines Genossen hintertrieben, so manche Tapfern abgehalten etwas zu thun. Das fanatische russische Volk hat die Niedertracht eines Alexander III. erkannt, hoffentlich werden auch die aufgeklärten deutschen Genossen endlich die elenden Handlungen eines Most erkennen.
Denn solange wir solche Demagogen groß ziehen, welche durch uns und unsere Groschen „Größen“ werden, wird die Bewegung gehemmt sein und die herrschende Klasse triumphieren.
Worte helfen bei solchen Menschen nichts; eine Tracht Hiebe würde diesen Menschen wohl nicht ändern, aber ihm das Maul stopfen.

Emma Goldmann.

• Der Anarchist, 30. Juli 1892

* * *

Schlecht beraten.

In’s Fahrwasser des Anarchismus gerathen die Arbeitslosen.

Die gestrige Demonstration auf Union Square — In Brandreden wird radikaler Unsinn verzapft und denen, die nach Brod schreien, wird ein Stein gegeben.

Professionelle Hetzer, Volksverführer, Utopisten und Demagogen machen sich die mißliche Lage, in welche infolge der allgemeinen Geschäfts-Depression ein großer Theil der Arbeiter gerathen ist. weidlich zu Nutze und tragen durch die maßlose Aufreizung der niederen Klassen das ihrige dazu bei, daß die Situation sich, wenn dies möglich ist, noch verschlechtert. Beweis hierfür ist die Demonstration, welche gestern Abend stattfand.

Mit einer zweiten großen Massenversammlung auf dem Union Square, noch größer als die am Samstag stattgehabte, schloß der gestrige Tag für die Arbeitslosen.

Etwa fünftausend Menschen hatten sich auf dem großen Platze, der so manche Volks-Demonstration gesehen, eingefunden und besonders unter ihnen auffallend war die Zahl der jungen Leute unter 25 Jahren. Der Demonstration auf dem Square ging ein Umzug der Arbeitslosen heran, welcher um 7 Uhr Covenant Hall, No. 56 Orchard Str., verließ und etwa 2500 Mann stark die Orchard Str. hinauf ging, die Houston Str., Ave. A, 2. Str., 2. Ave., 13. Str. passirte und um 7 ½ Uhr auf dem Square eintraf.

Der Umzug war ein sehr ruhiger und der einzige zu erwähnende Vorfall war, daß Kapitän Devery in der Orchard Str., zwischen der Rivington und Delancey Str., einem der Männer eine schwarze Flagge wegnahm und sie konfiscirte.

Auf der Terrace vor der Cottage am Square präsidirte David Levy. während zwei Lastwagen zu beiden Seiten der Cottage als Rednertribünen verhielten. Dr. Theodore Kinzel, der erste Redner, erklärte, daß er ein Anarchist sei, worauf er die bestehende Gesellschaftsordnung kritisirte, die „sociale Revolution“ ankündigte und den Anwesenden rieth, sich für dieselbe vorzubereiten.

Unter den anderen Rednern war es besonders der Schneider John Timmermann [1], welcher durch seine aufreizende maßlose Redeweise die Anwesenden packte. „Wir müssen Brod haben“, rief er; „wenn die Kapitalisten Euch ohne Brod lassen, so sind sie Mörder und wenn sie uns kein Brod geben, so müssen wir es nehmen. Wir sind keine Politiker und haben nichts mit der Politik zu thun.“ Nachdem er von der französischen Revolution gesprochen, erklärte er, daß auch hier Straßenkämpfe stattfinden würden.

Bereitet Euch auf die sociale Revolution vor. Gewalt gegen Gewalt! Ich sage Euch, die Zeiten werden noch schlechter werden, wie sie jetzt bereits sind, und man wird uns auf den Straßen tödten. Ihr habt die Paläste gebaut, Ihr habt alles geschaffen, aber Ihr selbst habt nichts. Fordert Brod! Es ist Euer Recht, dasselbe zu verlangen, und könnt Ihr es nicht bekommen, so könnt Ihr es ja nehmen“ Er schloß mit den Worten: „Hoch lebe die Anarchie!

Nach ihm sprachen Arthur Morton, F. Herschdorfer und Bamet Brave. Letzterer erklärte, daß man sie Anarchisten nenne, weil sie Brod verlangten, und man rufe dann die Polizei herbei, sie zu verhaften. „Wenn sie einen verhaften, sollen sie alle mitnehmen, alle unsere Familien. Man hat mir mitgetheilt, daß ich verhaftet werden soll. Sie sollen es nur thun. Ich kann im Gefängnis nicht schlimmer daran sein, als ich es jetzt bin. denn morgen soll ich ermittirt werden. Giebt man uns kein Brod, so werden wir es nehmen.

Emma Goldmann sprach dann zu der Menschenmenge, welche begierig den Wortschwall der Petroleuse verschlang und denselben stürmisch applaudirte.

Das ist das Land eines Thos. Jefferson, eines John Brown, eines Abe Lincoln.“ geiserte die Maulheldin in schlechtem Englisch, „und in ihm schreien Hundertausende nach Brod. Könnten jene dieser Versammlung beiwohnen, so wurden sie vor Scham erröthen. Die Reichen wohnen herrlich und in Freuden und ihre Frauen haben alles, was das Herz begehrt, aber die Lohnsklaven sind schlimmer daran, wie die Farbigen in der Sklavenzeit. Die schlechte Zeit kommt nicht von der Silberkrise her. sie hat andere Ursachen. Ihr verlangt Brod und wenn Ihr es nicht auf friedlichem Wege bekommen könnt, so werdet Ihr es Euch mit Gewalt holen. Vereinigt Euch und nehmt es mit Gewalt, wenn Ihr es nicht friedlich bekommen könnt. Man hat in den Zeitungen berichtet, daß Arbeiter nach Albany gehen wollen, um dort Forderungen zu stellen; was werden sie erhalten? Nichts. An solche Geschichten glaube ich nicht mehr. Verlaßt Euch auf Eure eigene Kraft, da die Kapitalistenklasse die Polizei bewaffnet hat. Nochmals, könnt Ihr kein Brot bekommen, so nehmt es mit Gewalt. Geht hinaus in die sociale Revolution!

Der Wortlaut der Brandrede ist nur deshalb bemerkenswerth, weil sich voraussichtlich die Polizei mit der Urheberin derselben befassen wird.

Nur wenige Redner sprachen nach Emma Goldmann. Es hatte sich inzwischen das Gerücht verbreitet, daß die Polizei beschlossen habe. Timmermann und Emma Goldmann wegen ihrer Reden zu verhaften und dies sah um so wahrscheinlicher aus, als sich wohl ein Dutzend Detektives auf der Platform befand.

Plötzlich verschwand Timmermann, und man konnte nicht in Erfahrung bringen, ob er verhaftet worden sei oder ob ihn seine Freunde fortgcschmuggclt hänen. Nachdem Emma Goldmann geendet, entfernte sie sich langsam in Begleitung einiger Freunde.

Mehrere Reporter folgten, sowie ein kleiner Menschenhaufen. Durch den Park ziehend, schwoll der Zug im Nu um Hunderte an und als er um die Cottage gehend die Ecke der 17. Str. und 4. Ave. erreicht hatte, befanden sich nahezu tausend Leute in Emma’s Gefolgschaft.

Immer größer wurde das Gedränge. Es ging die 4. Ave. hinunter bis zur 14. Str. und als man dieselbe erreichte, waren wenigstens 2000 Personen in dem Zuge. Plötzlich kam der Haufen zum Stillstehen. Emma hatte eine in westlicher Richtung fahrende Car bestiegen und mehrere Leute waren nach ihr hinaufgesprungen. Die Car entfernte sich und langsam ging die Menge auseinander. Es hieß, daß sie noch später  verhaftet werden würde.

Im Laufe des Tages fanden zwei sehr ruhige Massenversammlungen der Arbeitslosen statt, eine in Covenant Hall, No. 56 Orchard Str.. und die andere in Pythagoras Hall in der Canal Str. nahe der Bowery. In letzter sprachen A. Jablinowski, Jos. Lederer, M. Hillkowitz und Jac. Milch, welche die Anwesenden ermahnten, keine Ruhestörungen zu begehen. In der ersteren sprach Emma Goldmann, welche die entgegengesetzte Maßnahme empfahl. (…)

  • New Yorker Staats-Zeitung, New York, 22. August 1893  [zitiert nach: EG Band 1, S. 142-144]

* * *

Interview in der New York World, 28. Juli 1892 [1]

Die Höhle der Anarchie.

———

Emma Goldman, ihre Königin, regiert mit einem Nicken die wilden Roten.

———

PEUKERT, der schweigsame Autonomist, die Macht hinter ihr.

———

BERKMAN, der Attentäter, das Werkzeug dieser Führer.

———

Ihr Hauptquartier in einer billigen Wohnung in der Fünften Straße.

———

[…] Und hier war Emma Goldman.[2]

In der äußersten Ecken, nahe einem staubigen, mit Spinnweben verhangenen Fenster, saß eine Frau. Allein in dieser Versammlung hartgesichtiger, halbbekleideter Männer, eingehüllt in einer dichten Wolke erstickenden Rauchs, lehnte sie sich gelassen in einem Kneipenstuhl zurück und las. Sie schien ziemlich hübsch zu sein. Die Lehne ihres Stuhls lehnte gegen die hintere Mauer, und ihr linker Fuß ruhte auf der Sprosse eines Stuhles, der vor ihr stand. Ein weißer Strohhut mit einem blauen, weiß gepunkteten Band lag auf dem Tisch neben ihrem Ellenbogen.

Haselnußbraunes Haar, das seitlich gescheitelt worden war, war über ihrer Stirn aufgeplustert und ließ nur eine Spur dieses Teils sichtbar werden. An der Rückseite war das kurze Haar nachlässig arrangiert. Sie hatte einen wohlgeformten Kopf; eine lange, niedrige weiße Stirn; helle blaugraue Augen, bewehrt mit einer Brille; eine kleine, fein gemeißelte Nase, an den Nasenlöchern eher zu weit, um symmetrisch zu sein; die Haut farblos; Wangen, die einst voll gewesen waren, aber nun leicht eingesunken sind, geben einem Gesicht, das seine Formschönheit im rapiden Abfall zum Kinn verliert, eine etwas zusammengedrückte Erscheinung. Der Mund in Ruhestellung ist hart und sinnlich, die Lippen voll und blutlos.

Ein Nacken, der einst gerundet war, war immer noch wohlgeformt, aber als sie ihren Kopf drehte, wölbten sich die Sehnen aus der Magerkeit heraus, und Flecken hier und dort verstärkten die heftige Enttäuschung, die einen überkommt, nachdem man den oberen Teil des Gesichtes verlassen hat. Eine schlanke Figur, fünf Fuß vier oder fünf Inches [1,65 – 1,68 m] groß, gut geformt mit festem Fleisch, gekleidet in eine weiße Bluse, einen ockerfarbenen Gürtel und einen Rock aus blauem Satin mit weißen Streifen und ockerfarbenen Schuhen.

Das war Emma Goldman, während sie in der anarchistischen Trinkhöhle [3] saß, gestern Nachmittag, um 5 Uhr.

„Sie sind Fräulein Emma Goldman?”

„Das bin ich.”

Der Reporter machte ein paar Scherze, und sie lächelte. Ihre Lippen verzogen sich zu Falten, die ihr Gesicht häßlicher machten, als es in Ruhestellung war [4]. Die beiden Vorderzähne standen weit auseinander, und an beiden Seiten waren Zahnlücken, die das Innere des Mundes schwarz aussehen ließen, oder eher wie jener stumpfe undurchsichtige Farbton, der für die Mäuler einiger Schlangen charakteristisch ist. Ihr Englisch war gut, mit sicherer Betonung, aber es gab einen bemerkbaren Akzent.

Stolz ein Anarchist zu sein.

„Ja, ich kenne Berkman. Er ist ein großartiger Mann – ein Mann voller Intelligenz und Mut. Ob ich ein Anarchist bin? Ich bin es, und ich bin stolz darauf. Sie haben Mollock verhaftet, wie ich sehe. Nun, ich bin sicher, daß Mollock nichts mit der kleinen Affäre in Pittsburgh zu tun hatte.” [5]

„Aber Mollock und Berkman waren Freunde?”

„Oh ja, sie waren Freunde, und ich nehme an, Mollock schuldete Berkman etwas Geld. Tatsächlich weiß ich, daß er das tat,und darum schickte er es ihm.”

„Wann haben Sie Berkman zuletzt gesehen?”

„Oh, vor einiger Zeit; vielleicht vor einer Woche oder vor zehn Tagen. Ich kann mich nicht genau erinnern.”

„Hat er Ihnen gesagt, wohin er gehen wollte und was vorhatte?”

„Nein, er zieht Leute in solchen Dingen nicht ins Vertrauen.”

„Aber Sie sind seine Frau?”

„Ha! ha! ja, ich bin seine Frau, aber auf anarchistische Art, Sie wissen nicht, was das bedeutet! Die Anarchisten glauben nicht an Eheschlüsse nach dem Gesetz. Wir wollen kein Gesetz, und wenn wir vereinbaren zu heiraten, nun, ha! ha! das ist es.”

„Die anarchistische Ehefrau erwartet nicht das Vertrauen ihres Gatten?”

„Warum sollten wir? Aber das ist eine Sache, die ich nicht zu diskutieren beabsichtige.”

„Sie haben mit Frau Mollock zusammengelebt?” [6]

„Ja.”

„Der Name unter der Klingel ist Pollak, ist das ihr richtiger Name?”

„Ich nehme es an. Sie ist Mollocks Frau, so wie ich Berkmans bin. Sie konnte nicht mit ihrem ersten Ehemann leben und ging mit Mollock.”

„Aber Mollock unterzeichnet seine Briefe an sie mit dem Namen Pollak?”

„Stimmt das?”

Fräulein Goldman versuchte spaßig zu sein. Es war ein schrecklicher Fehlschlag, den sie nicht wiederholte.

Die Polizei ermüdet mich.”

„ Mollock lernte seine Frau in Buffalo kennen, und als sie hierher kamen, half Berkman ihnen, und wir lebten alle in der Chrystie Street zusammen. Nein, ich weiß nicht, wo seine Frau jetzt ist, aber ich glaube, sie ist nach Long Branch gegangen, um ihren Gatten zu sehen. Die Zeitungen haben um mich einen großen Aufstand gemacht, aber ich habe mich nicht versteckt. Ich bin die ganze Zeit in der Stadt gewesen.”

„Sind Sie gestern Abend von Chief O’Mara [7] von der Pittsburgher Polizei besucht worden?”

„Nein, wurde ich nicht. Die Polizei ermüdet mich. Die meisten sind Trottel. Sie wandern geheimnistuerisch herum und machen nichts. Alles was sie taten war, den alten Narren Most [8] ins Gefängnis zu stecken.”

„Sie sind ein Freund von Most?”

„Ein Freund! Der alte Betrüger! Ich wünschte mir nur, daß ich, als ich die Möglichkeit dazu hatte, ihn dazu gebracht hätte, mir etwas von seinem Geld zu geben. Er ist ein Feigling und ein Anarchist nur gegen Bezahlung.”

„Waren Sie nicht seine anarchistische Gattin, bevor er sich mit Lena Fischer [9] zusammentat und Sie Berkman trafen?”

„Ha, ha, ha!”

Wieder dieses harte, unmusikalische Lachen. Diese Mal hatte es einen Beiklang von Unehrlichkeit an sich, der ihre Worte Lügen strafte. „War ich nicht”, sagte sie entschieden [10].

„Wann hatten Sie die Möglichkeit, ihn dazu zu veranlassen, daß er ihnen Geld gibt?”

„Ihr Reporter seid zu impertinent. Ich hasse Reporter.”

„Warum?”

„Weil ich alle Inquisitoren hasse. Ich habe dieses ganze Land bereist, Vorträge vor den Gruppen gehalten, und ich habe hier gesprochen, als diese Memme Most Angst vor der Polizei hatte. Ja, ich bin eine Russin, aber ich habe nicht die Absicht zu sagen, aus welchem Teil Rußlands. Aber vor allem bin ich Anarchist.”

„Sind Sie denn stolz auf das, was Ihr Geliebter erreicht hat?”

„Das bin ich tatsächlich; das sind wir alle.”

„Sie haben letzten Sonnabend verschiedene Telegramme erhalten; waren sie von Berkman?”

„Ich habe jetzt nicht mehr die Absicht, mehr zu sagen. Ich habe Ihnen genug erzählt, und ich schätze, Sie werden einen Haufen Lügen schreiben. Das macht ihr alle, denn eure Leute müssen sich an die Kapitalisten verkaufen, die euch das Brot geben, und die Kapitalisten mögen es, die Lügen über uns Anarchisten lesen.”

„Wollen Sie mir nicht erzählen, wann Sie zuletzt von Berkman gehört haben?”

„Das geht die Öffentlickeit nichts an. Jetzt, mein Herr, werde ich nichts mehr sagen. Und wenn Sie mir die ganze Nacht Fragen stellen würden, ich würde nicht antworten.”

Die anderen Anarchisten erhoben sich.

Einer nach den anderen hatten sich die dunkelhäutigen, halbbekleideten und schmutzigen Anarchisten aus dem Vorderraum dem Platz genähert, wo ihre Königin saß. Einer von ihnen hatte ihr möglicherweise ein Zeichen gegeben, nichts mehr zu sagen. Ein Dutzend handfester schwarz- und rotbärtiger Anarchisten standen ein paar Schritte hinter den Rücken des Reporters. Ein anderer Reporter näherte sich und stellte Emma Goldman eine Frage. Während ihre Augen der Gruppe ihrer Freunde einen bedeutsamen Blick zuwarfen, sagte sie mit einer Stimme, die weitaus lauter als notwendig war, so laut, daß sie sogar im Vorderraum gehört werden konnte:

„Ich habe nichts zu sagen. Wollen Sie mich nicht allein lassen?”

Als ob ihre Worte ein Signal gewesen wären, umzingelte ein halbes Dutzend Anarchisten den Reporter, fuchtelten mit ihren Fäusten in der Luft herum und schleuderten Flüche und Beschimpfungen auf Deutsch und Russisch gegen die Reporter. Ein Mann stand nahe bei einem Tisch, mit einem Eispickel in seiner Hand.

Alle Reporter sollten umgebracht werden.”

Die Gruppe wurde größer. Emma Goldman stand auf. Ein stämmiger Anarchist, breiter gebaut als Sullivan [11], ballte seine Fäuste und rief – sein Gesicht gerötet von Bier, Hitze und Zorn – auf Deutsch, daß alle Reporter umgebracht werden sollten.

„Ja, er kann Deutsch verstehen!” heulte er. „Du – –!”

„Nein”, antwortete die Frau auf Deutsch, „er ist ein Amerikaner.” Sie lächelte dieses hohlwangige Lächeln, während ihre Augen hinter ihren Brillengläsern leuchteten. Ein glücklicher und stolzer Ausdruck war auf ihrem Gesicht, und während sie einen schwachen Versuch machte, ihre Sklaven zu beruhigen, bekam ihr fahles Gesicht einige Farbe, und sie stand da, von Lächeln umkränzt, inmitten von Rauch und Bierdünsten. […]

interview-womans-anarchy-1892Anmerkungen

[1] New York World, 28. Juli 1892, S. 2. Anmerkungen des Übersetzers sind mit (AdÜ) gekennzeichnet, alle anderen sind aus der Vorlage übernommen. Emma Goldman wird mit EG, Alexander Berkman mit AB abgekürzt. (AdÜ)

[2] Der Artikel enthält eine Zeichnung von EG. Er fährt fort mit kurzen Interviews mit Claus Timmermann und Josef Oerter, die sich beide vor polizeilichen Ermittlungen durch vage und ausweichende Antworten auf die Fragen des Reporters schützten. Die Überschrift bezieht sich auf Joseph Peukert, anarchistischer Kommunist und ein Führer der Gruppe Autonomie.

[3] Zum Großen Michel, der Saloon in 209 Fifth Street, dem regelmäßigen Treffpunkt der Gruppe Autonomie wie auch die Adresse der Brandfackel und von Claus Niedermann, der die Brandfackel herausbrachte, während ihr Gründer und Herausgeber Claus Timmermann 1893 auf Blackwell’s Island inhaftiert war. Der Reporter bemerkte später, daß „an den Wänden Werbung für anarchistische Zeitungen hing und sich in einem Regal gebundene Ausgaben von La R[é]volt[é], [Die] Autonomie und andere Zeitschriften mit offensichtlich anarchistischer Ausrichtung befanden”.

[4] Der Satz lautet in der Vorlage: „Her lips wreathed into lines that were uglier than when her face was in repose.” (AdÜ)

[5] Die Polizei in Long Branch, New Jersey verhaftete auf Anforderung der Polizei von Pittsburgh Frank Mollock um den 23. Juli, weil er an AB in Pittsburgh sechs Dollar geschickt hatte. Mollock gab zu, das Geld geschickt zu haben, leugnete aber jegliche Beteiligung an ABs Versuch, Henry C. Frick umzubringen – die „kleine Affäre”, auf die sich EG in dem Interview bezieht. AB erzählte im Gefängnis, wie er direkt nach seiner Ankunft in New York am 10. Juli versucht hatte, Geld einzusammeln, das ihm verschiedene Genossen schuldeten.

[6] Josephine Mollock, bei der EG und AB gewohnt hatten, hatte anscheinend auf Druck des Vermieters EG nach ABs Attentat aus der Wohnung ausgesperrt.

[7] O’Mara, der Chef der Polizei von Pittsburgh, hatte kurz zuvor behauptet, daß ABs Anschlag auf das Leben von Henry C. Frick Teil einer anarchistischen Verschwörung sei, siebzig Millionäre zu ermorden, deren Namen auf einer Liste erschienen, die in der Schreibtischschublade des Pittsburgher Anarchisten Henry Bauer gefunden worden sei, der als Komplize verdächtigt wurde.

[8] Johann Most war kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine Haftstrafe abgesessen hatte (Juni 1891 bis April 1892), die er für seine Brandrede vom 12. November 1887, dem Tag nach der Exekution der Haymarket Märtyrer, erhalten hatte.

[9] Lena Fischer war die Schwester des Haymarket-Anarchisten Adolph Fischer, obwohl der Reporter sie mit Helene Minkin verwechselt haben mag, einer jungen Anarchistin, die mit EG und AB zusammengewohnt hatte und später Johann Most heiratete.

[10] Tatsächlich fühlte sich EG zu Most sowohl als Liebhaber wie als Mentor hingezogen, kurz nachdem sie das erste Mal nach New York gezogen war. Er ermutigte sie, half bei der Organisierung ihrer ersten Vorträge und unterstützte so den Anfang ihrer Karriere als öffentliche Rednerin.

[11] Hinweis auf den Schwergewicht-Weltmeister im Bare-knuckle-Boxen (Boxen ohne Handschuhe) John L. Sullivan, der den Titel von 1885 bis 1892 hielt.

• Quelle: The Emma Goldman Papers, Berkeley Library, University of California
http://www.lib.berkeley.edu/goldman/pdfs/Anarchy%27sDen_GoldmanSuspectedintheFrickAssassinationAttempt.pdf

[ Übersetzung und bearbeitet von  Jonnie Schlichting | barrikade ]
eg-1901-polizeifotoPolizeifoto nach ihrer Festnahme nach Arbeitslosen-Rede am Union Square 1893

 Einer ihrer ersten Artikel in einer anarchistischen Zeitschrift:

Das Recht der freien Rede in Amerika.

Es ist schon lange nichts Neues mehr, daß die herrschende Klasse Amerikas unter dem Deckmantel der sog. Freiheitlichen Institutionen einer Republik, die größten Niederträchtigkeiten und schamlosesten Vergewaltigungen dem arbeitenden Volke gegenüber begangen hat.  Die Gefängnisse Amerikas bergen eine große Zahl von Menschen,  die es gewagt hatten für ihre unveräußerlichen Rechte einzutreten; gar nicht jener Zahlreichen zu gedenken, die von Seiten des herrschenden Raubgesindels auf feige und niederträchtige Art hingemeordet wurden. Das Recht der freien Rede wurde zwar schon längst mit Füßen getreten, die herrschende Klasse konnte aber bisher die Ausrede gebaruchen, daß bei dieser oder jener Gelegenheit ihre Schergen von den Arbeitern attaquirt wurden, oder daß das Eigenthum irgend eines Blutsaugers gefährdet schien und sie daher das Recht hätte, dieselben zu zu bestrafen und Reden zu unterdrücken, die zu derartigen Handlungen aufreizen.

Das Elend der Arbeiterschaft Amerikans wächst von Jahr zu Jahr und niemals haben es noch die Hungernden gewagt, ihre Stimme laut werden zu lassen. In diesem Jahre aber wurde die Noth zu groß, der Hunger gräßlich und die Arbeiter wollen ihr Joch  nicht länger mehr ertragen. Der Schrei der Unterdrückten und Hungernden ertönt aus allen Ecken und Enden Amerikas, und die Entrechteten versammelten sich zu Tausenden, um den Ausführungen der Redner mit Spannung und Aufmerksamkeit zuzuhören. Solches liegt gar nicht im Interesse der herrschenden Blutsaugerbande — das wäre ja das Recht der freien Rede auf eine ganz sonderbare Art interpretirt. Wir, die Arbeiter, diese unsere Sklaven, unsere Ausbeutungs-Objekte, ihnen soll dieses Recht auch zugestanden werden? Nie und nimmermehr! In dem Momente wo die Arbeiter sich ihrer wahren Lage bewußt werden, derselben Ausdruck zu geben suchen und so an unseren Vorrechten rütteln, in diesem Momente ist unsere Existenz auf das Ernstlichste bedroht.

So und ähnlicher Art hat die capitalistische Bande in den letzten Tagen gedacht und gesprochen und in ihrer Angst und Bestürzung ihre Heer von Schergen auf diejenigen gehetzt, die es unternommen, die hungernden Arbeitslosen aufzuklären und denselben Mittel und Wege anzugeben — sich Brod zu verschaffen.

Nach Ansicht der herrschenden Capitalistenbande, haben also die Arbeiter, diese modernen Slaven des neunzehnten Jahrhunderts, hierzulande nicht den geringsten Anspruch auf das Recht der freien Rede; sie haben kein Recht, ihre Forderungen um Brot geltend zu machen; sie haben kein Recht, über ihre Noth und ihr Elend und über die Mittel zur Beseitigung derselben zu sprechen: sie haben kein Recht, von der reichgedeckten Tafel des Lebens etwas für sich in Anspruch zu nehmen — sie haben nur ein Recht: das Recht, geduldig zu verhungern.

Von diesem Geiste beseelt, hetzten also die aus ihrer Ruhe und Behaglichkeit gescheuchten Volksbedrücker ihre Bluthunde auf einige der Redner, die in den Arbeiterslosen-Versammlungen der letzten Zeit es versuchten, das gedrückte, entrechtete und ausgesogene Volk auf die richtige Bahn zu leiten und demselben zu zeigen, wie es sich von einem schmählichen Sklavenjoche befreien könne. Der ganze Büttel-Apparat von New York und Philadelphia wurde beispielsweise in Bewegung gesetzt und eine ganze Scharr von Spionen war in Thätigkeit um meiner Person habhaft zu werden, trotzdem ich nicht das Geringste unternahm mich vor den Häschern zu verbergen, vielmehr überall offen und frei meine Tätigkeit weiter entfaltete. Ich will mich über die mir seitens der Polizeibrut zu Theil gewordenen brutalen Behandlung und über die ganz niederträchtige Vergewaltigung, die mir von den Philadelphier Behörden wiederfuhr, hier nicht weiter ergehen — das eine nur will sagen, daß in meinen Augen der Leichenschänder des Schlachtfeldes ein ehtenwerter Mann ist im Vergleich zum Polizisten im Allgemeinen, und zum amerikanischen Polizisten im Besonderen. — Ich hatte es in ganz kurzer Zeit während rneiner Haft in Philadelphia herausgefunden, daß man mich mit den angewandten raffinirten Torturen und niedrigen Anträgen zu demoralisiren suchte.

Bekanntlich soll das Weib hierzulande mehr Rechte haben. Ja, aber nicht das Proletarierweib, nicht eine Anarchistin. Mit Verachtung sieht der Amerikaner auf die Despotie RußIands hin und doch werden hier unter dem Deckmantel der Freiheit dieselben Greuelthaten am Volke begangen. Nun wohl, wenn ich nicht frei meine Meinung sagen kann, so werde ich noch andere Mittel und Wege finden um dem Volke die Augen zu öffnen., zu ihm zu sprechen, daß den capitalistischen Cäsaren Amerikas das Herz im Leibe beben wird; ich werde der feigen Bande die Maske der Lüge noch vom Gesichte reißen. Die Idee der wahren Freiheit wird fortleben bis zum Tage der großen Abrechnung; an diesem Tage wird das jahrtausende lang getretene und gedrückte Volk zu neuem Leben erwachen — zum wahrhaftig freien Leben in der Anarchie.

Emma Goldmann.
Tombs Prison, New York

  • Die Brandfackel, 1. Jg., Nr. 2 – 13. September 1893 (S. 3-5)

Brandfackel-Logo

[1] Claus Timmermann, emigrierte um 1883 in die USA und wirkte ab 1889 in St. Louis als Anarchist, gab hier u.a. die Zeitschrift Die Parole (1884-1891) mit herausaus und von 1889-1891 Der Anarchist. Dann in New York war er Herausgeber der Brandfackel (1893-1894), des Sturmvogels (1897-1899). Er arbeitete u.a. als Tischler (baute Setzkästen), als Tellerwäscher und als Handwerker. Er starb im Camp Greylock im Jahr 1941.

„Ein glühender deutscher Anarchist … Er hatte erhebliches poetisches Talent und schrieb kraftvolle Propaganda … Er war ein sympathischer Kerl und ganz vertrauenswürdig, obwohl ein erheblicher Trinker“.
Mein Leben. Emma Goldman über Claus Timmermann

eg-anzeige-bf-1893

anarchists-in-action-1894[27.12.2016]

Neuerscheinung 6. Mai 2015

Doris Ensinger – Quer denken, gerade leben.

Erinnerungen an mein Leben und an Luis Andrés Edo.

TB EDOEnsinger-Umschlag (download)

Das Buch ist am 6. Mai druckfrisch eingetroffen/erscheinen. Umfang 420 Seiten zum Preis von 20 EURO. Format 23,3 x 15,8 cm – Gewicht: 732 g • Für Wiederverkäufer/Buchhandel und AS-Gruppen gilt der Buchhandelsrabatt von 40% zuzügl. Porto/Versand.
ISBN 978-3-921404-01-0, 20 Euro

* * *

Erste Rezension:

Doris Ensinger – Autobiographie einer kämpfenden Frau

12. April 2015
2015 wird als deutsche Erstveröffentlichung die Autobiographie von Doris Ensinger im Hamburger Verlag Barrikade erscheinen. Wer sich nun sagt: „Doris Ensinger – nie gehört“, dürfte damit nicht alleine stehen. Denn sie ist nach eigener Aussage und Erfahrung eine der „namenlosen Frauen“, die nahezu unbekannt an der Seite aktiver Anarchosyndikalisten und Anarchisten leb(t)en und kämpf(t)en. Ihre mehrere hundert Seiten umfassenden Erinnerungen sind „allen Frauen gewidmet, die als Lebensgefährtin an der Seite eines jener bekannten oder anonymen historischen Kämpfer der anarchistisch-libertären Bewegung Spaniens lebten“, und „die eine bedeutende Rolle in den sozialen Kämpfen des 20. Jahrhunderts spielten. Oftmals halfen sie bei den Aktionen oder waren direkt am Kampf beteiligt, indem sie als Botin agierten oder Material und Personen versteckten. Mit ihrem selbstlosen Verhalten, mit ihrer Aufopferung und ihrem Mut machten sie den Kampf ihrer Männer oft erst möglich. Bisher wurde diesen Namenlosen wenig Aufmerksamkeit und Dankbarkeit zuteil, aber ohne sie hätten viele Aktionen nicht in der Weise durchgeführt werden können, wie dies dann geschah.“ Die in den 1940er Jahren im schwäbischen (Bad) Urach aufgewachsene Autorin wirkte in der alten Bundesrepublik in verschiedenen linken Basis-Gruppen, davon über einen längeren Zeitraum in München und arbeitete u.a. in der internationalen Solidaritätsbewegung mit verfolgten Antifaschisten und Anarchisten in Spanien. Bei einem ihrer dortigen Aufenthalte traf sie 1977 an ihrem Geburtstag in Barcelona auf Luis Andrés Edo. Er wurde die „große Liebe meines Lebens“. Mehr als dreißig Jahre lang, bis zu seinem Tod 2009, blieben die beiden zusammen. Der Eisenbahner, Bauarbeiter, Anarchist und Syndikalist Louis Andrés Edo kämpfte sein ganzes Leben für eine freie Gesellschaft, war im antifaschistischen Kampf gegen das Franco-Regime aktiv und arbeitete in vielen verantwortlichen Funktionen der anarcho-syndikalistischen CNT-AIT. U.a. war er Generalsekretär des katalanischen Regionalkomitees und Herausgeber der traditionsreichen und vielgelesenen „Solidaridad Obrera“ („Arbeiter-Solidarität“). Für seine Überzeugungen verfolgte ihn der Staat und inhaftierte ihn oftmals. Mehrfach wurde er in Isolationshaft gefangen gehalten. Über die Grenzen Spaniens hinaus war Luis Andrés Edo schon zu Lebzeiten ein bekannter und geschätzter Genosse. Vorträge und Treffen führten ihn auch nach Deutschland. Im Zuge CNT-interner politischer Intrigen und Manipulationen wurde er zusammen mit der Mehrheit der Mitglieder der CNT-AIT von Katalonien 1995 ausgeschlossen. Er engagierte sich weiterhin im anarcho-syndikalistischen Sinne in dieser bis heute fortbestehenden CNT Kataloniens und Barcelonas, welche zur besseren Unterscheidung von der offiziellen CNT-AIT den Beinamen „Joaquín Costa“ trägt. Von ihm stammen zwei wichtige Werke zur Geschichte des spanischen Anarchosyndikalismus. Diesen möchte Doris Ensinger ihre Autobiographie hinzufügen. Denn sie schreibt: „Ich bin mit dem Gedanken an dieses Buch herangegangen, die beiden von Luis Andrés Edo geschriebenen Bücher – zum einen das theoretische Werk La Corriente und zum anderen seine Memoiren La CNT en la encrucijada. Aventuras de un heterodoxo – zu ergänzen. Mit meinem Buch möchte ich etwas von der persönlichen, menschlichen Seite von Luis sichtbar machen, da er auf diese Aspekte in seinen Memoiren fast nicht eingegangen ist. Ich beschreibe also die mit ihm gemeinsam erlebten Jahre aus meiner Sicht und erzähle auch einige Anekdoten, die mir interessant erscheinen, und die nicht in Vergessenheit geraten sollten. Außerdem erzähle ich meine Geschichte mit einem Blick von Deutschland auf Spanien und umgekehrt.“ Doris Ensingers Autobiographie ist ein Buch, auf das wir uns alle freuen können. Es erhebt den Anspruch, den ganzen Menschen zu zeigen. Doris Ensinger: Quer denken – gerade leben. Erinnerungen an mein Leben und an Luis Andrés Edo. Deutsche Erstveröffentlichung. Verlag Barrikade, Hamburg 2015. ISBN 978-3-921404-01-0, 20 Euro Quelle: Blog Institut für Syndikalismusforschung

amapola3Möge Dir die Erde leicht sein!

Kniestedt | Erinnerungen

Friedrich Kniestedt:

Fuchsfeuerwild

Erinnerungen eines anarchistischen Auswanderers nach Rio Grande do Sul

Unser erstes Buch der Reihe «Biografien und Erinnerungen» ist ab sofort lieferbar! (6.9.2013)

Kniestedt ERINNERUNGEN Umschlag_Seite_1

Kniestedt Anzeige

Umfang: 232 Seiten (Format 165 x 235 mm) – empfohlener Verkaufspreis: 18 €uro (keine Buchpreisbindung!)

Weitere Informationen, Leseprobe und Lebenlauf finden sich hier und werden regelmässig ergänzt:

Register

Leseprobe

Lebenslauf

Klappentext (Rückseite):

Dies ist ein Deutsch-brasilianisches Geschichtsbuch – die Erinnerungen eines anarchistischen Agitators und Organisators in Rio Grande do Sul, der über seinen Kampf gegen die versumpfende Sozialdemokratie im deutschen Kaiserreich berichtet, seine Erfahrungen als deutscher Emigrant in Südbrasilien Revue passieren läßt, über seine gewerkschaftlichen Aktivitäten als Anarchosyndikalist erzählt und seinen Kampf gegen die Nazis in Brasilien und gegen das Tausendjährige Reich Hitlers dokumentiert.

DfA 1922 - Seite 1Der freie Arbeiter (Porto Alegere) – März 1922 – Titelseite

barrikade # 8 – Juni 2013 – download

Die neue, achte Ausgabe der barrikade ist nun auch als pdf erhältlich (erschienen am 6. Juni 2013)!

barrikade-8-cover60 Seiten A 4  —  VK-Preis: 4,– €

barrikade-8-juni-2013

Inhaltsverzeichnis barrikade # 8 – Juni 2013
4 Wer war KARL ROCHE? Zu seinem 150. Geburtstag
10 »Die Arbeitsmänner. Wer schafft das Gold zutage« – JOHANN MOST
12 Im Sturm – Jahre des Exils. RUDOLF ROCKER in London 1894-1914.
22 IACOV KAPLAN – JACOB CAPLAN
24 Ein Besuch in London (Juli 1910) – BEN L. REITMAN
26 Offener Brief an die C.N.T. – ALEXANDER SCHAPIRO (1937)
28 Die UdSSR und die CNT: eine gewissenlose Haltung – ALEXANDER SCHAPIRO
30 Border crossings: Nachdenken über die Inter-Brigadisten – HELEN GRAHAM
36 Mit der Centuria ‚Erich Mühsam‘ – ROBERT MICHAELIS
43 LUCÍA SÁNCHEZ SAORNIL – HELEN GRAHAM
45 Übersetz te Gedichte von LUCÍA SÁNCHEZ SAORNIL
46 Zur Geschichte des Anarcho-Syndikalismus in Deutschland – HANS JÜRGEN DEGEN
52 Die Ermordung von ERNST VIERING und PAUL ZINKE im KZ Neuengamme in Hamburg 1945
53 Rezensionen: Feindliche Brüder (II) – Massenstreik Berlin 1919

UMSCHLAG 8Cover/Umschlag der achten Ausgabe

Plakat
Das Titelbild ist auch als A2-Plakat erhältlich.
Nicht sonderlich scharf, aber schön für die Küche oder das Klosett – oder als Hingucker für Veranstaltungshinweise.
Kann gerne bestellt werden – Preis pro Stück 2,- €, dann jedoch gefaltet auf DinA4 im Umschlag.
Höhere Abnahmemengen bitte mit uns absprechen, Abgabe gegen Druckkosten plus Versandkosten.
Vielleicht überarbeiten wir die Druckdatei nochmal durch einen Fachmenschen und lassen bei Nachfrage weitere Exemplare drucken.

*

Wir beginnen hier eine neue Rubrik – Errata

In jeder Druckschrift gibt es Tipp- und Flüchtigkeitsfehler; wer sie findet, darf sie behalten. Unsere Druckerzeugnisse gehen als „Manuskript“ in die weite Welt hinaus – und wer Grammatik studiert haben sollte, möge seinen roten Bleistift den Buchhaltern überlassen, es interessiert neben Pedanten und Oberlehrerinnen kaum jemanden (wirklich). Es behindert nicht die Wahrheitsfindung, auf die Inhalte kommt es an!

Inhaltliche Fehler wollen wir aber ausbesser: Errata (Plural von lat. Erratum, Fehler) bezeichnet das Verzeichnis von Druck- und anderen Fehlern
einer Drucksache und deren Korrektur.

Also geht’s hier gleich mal los:

Errata # 8

Erratum S. 42

Lucía_Sánchez_Saornil_&_Emma_GoldmanBildunterschrift:

Lucía Sánchez Saornil (links) mit Emma Goldman in der Mitte und einer anderen Frau (vielleicht die Übersetzerin?) unbekannten Namens.
Der von uns fälschlicherweise als Alexander Berkman vermutete Anzugträger ist bereits am 28. Juni 1936 gestorben.
Im schwarzen Anzug also Lucía Sánchez Saornil.

*

barri juni 2013 gross

Souchy │ Gerlach: Die soziale Revolution in Spanien

Soeben erschienen (30. November 2012)

tb-souchySouchy Gerlach

Die soziale Revolution in Spanien

Kollektivierung der Industrie und Landwirtschaft in Spanien 1936 -1939

Dokumente und Selbstdarstellungen der Arbeiter und Bauern

Mit einer Besprechung von Karl Korsch

184 Seiten großes Format 163 x 235 mm und diversen Plakaten und Bildern – 10 Euro (inkl. Versand)

»Gegenüber der »idealistischen« wie der »realistischen« Oberflächlichkeit der bürgerlichen Historiker ist der proletarische Leser immer noch auf den aufklärenden Bericht über die ersten sieben Monate sogenannter Kollektivierung im revolutionären Spanien angewiesen, der von den spanischen Arbeitern selbst veröffentlicht wurde, um die Verschwörung des Schweigens und der Entstellung  zu durchbrechen, die den wirklich revolutionären Aspekt der jüngsten spanischen Ereignisse fast völlig ausgelöscht hat.

Zum ersten Male, seit den Sozialisierungsversuchen in Sowjet-Rußland, Ungarn und Deutschland nach dem ersten Weltkrieg zeigt der hier beschriebene revolutionäre Kampf der spanischen Arbeiter einen neuen Typus des Überganges von der kapitalistischen zur gemeinwirtschaftlichen Produktionsweise, der, wenn auch unabgeschlossen, in einer beeindruckenden Vielfalt der Formen durchgeführt wurde. Es schmälert die Bedeutung dieser revolutionären Erfahrung nicht, daß alle diese Fortschritte der Arbeiterschaft auf dem Wege zu einer freien Gemeinwirtschaft in der Zwischenzeit entweder von außen durch den Vormarsch der Konterrevolution oder von innen durch die scheinbaren Verbündeten in der antifaschistischen Front zunichte gemacht wurden. Durch offene Unterdrückung oder – häufiger – unter dem Vorwand der »höheren Notwendigkeit« disziplinierter Kriegsführung wurden die Arbeiter gezwungen, auf die Früchte ihres Kampfes zu verzichten. Zu einem großen Teil wurden die revolutionären Errungenschaften der ersten Stunde von ihren Initiatoren in dem vergeblichen Bemühen, damit das Hauptziel, den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus zu fördern, freiwillig geopfert.

Trotzdem sind die Bemühungen der spanischen Arbeiter an der sozialen und wirtschaftlichen Front nicht völlig vergeblich gewesen.«

 Karl Korsch

schwarz-roter balken

• Bestellungen per email an: barrikade [at] gmx.org

6-disciplinaw Besonderes Dezember-Angebot:

Souchy-Buch plus die beiden letzten barrikade-Ausgabe für zusammen 15,- Euro (inkl. Versand)

• Kontoverbindung: Folkert Mohrhof – GLS-Bank [430 609 67] – Konto: 2002 314 600

        barrikade-logo 2

[30.11.12]